Franz Josef Wagner hat mit seinen Briefen ein eigenes Genre geschaffen. Nun hat er seinen Vertrag als Kolumnist verlängert. Zeit, ihn mit einem korpuslinguistischen Porträt zu würdigen. Denn während seine Leserinnen und Leser vor allem Vergnügen bei der Lektüre seiner Texte empfinden, wenn sie sich in der Lage sehen, diese als Satire aufzufassen, entfaltet Wagner in seinen Briefen einen außerordentlich facettenreichen Gefühlshaushalt, der in rekkurrenten sprachlichen Mustern greifbar wird.
Im Folgenden daher eine Zusammenstellung von Ich-Botschaften des Meister-Kolumnisten, die ausgehend von frequenten Emotionsausdrücken (Ich liebe, Ich hasse, Ich habe Angst, …) typische Verästelungen der Seele als Äste und Blattwerk eines n-Gramm-Baumes nachzeichnen. Und dies auf der Basis von mehr als 1300 Briefen.
Wagner liebt
74 mal beginnt Wagner seine Sätze mit den Worten „Ich liebe“. Wagner liebt außerordentliche Persönlichkeiten: „Ich liebe meine Kanzlerin“ und „Ich liebe Schäuble im Rollstuhl“, hat aber auch ein Herz für Normalsterbliche „Ich liebe Basis-Menschen“. Und Wagner liebt die alltäglichen Dinge, darunter „mein Auto“, „mein Kino“, „mein Kätzchen“, „mein Land“, „meinen Buchladen“.
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Eine erotische Komponente scheint bei „Ich liebe Frauen“ (4x) auf, wenn Wagner gesteht „Ich liebe himmlisch riechende Frauen“ und „Ich liebe nackte Beine“. Seine Verbundenheit mit den elemantaren Dingen des Lebens drückt sich auch in einer tiefen Zuneigung zu den folgenden Gegenständen aus: „Ich liebe die Sonne“, „Ich liebe den Sommer“, „Ich liebe den Winter“, „Ich liebe Berlin“.
Wagner hasst
Doch wo viel Liebe ist, dort ist auch Hass. 35 mal beginnt er Sätze mit „Ich hasse“.
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Wenn Franz Josef Wagner hasst, dann sind es das Wetter (Schnee, Frühfrost, Nebel, Winter, Affenhitze), Leute, die was zu sagen haben (Schiedsrichter, Hitler), bestimmte Erscheinungen der deutschen Sprache (gebrochenes Deutsch, Krüppel-Sprache, Sprache der Klugscheißer, Mobilfunk-Sprache), Dinge im Fernsehen (ARD-Reportagen, TV-Doktoren, Werbeunterbrechungen) und Dinge, die uns vermeintlich unabänderlich erscheinen (Arterien, die Farbe Weiß, Werbeunterbrechungen, Hochmut der Deutschen, das Rauchen), die ihn erzürnen.
Wagner ist froh
Wenn Franz Josef Wagner froh ist, dann darüber, dass er Franz Josef Wagner und am Leben ist. Daneben freut er sich über Olympiaden, Mauerfälle und wenn mal wieder jemand zurückgetreten ist.
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Wagner weiß, weiß aber vor allem nicht
130 mal sagt Wagner „Ich weiß“! Das ist mal ein verständnisvolles „Ich weiß, dass Sie leiden“, mal ein von Einsicht für das Unverständnis seiner Mitmenschen getragenes „Ich weiß , dass mein Prügelimpuls Befremden auslöst“. In 105 Fällen freilich gesteht Wagner sein Nichtwissen ein.
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Neun mal konstatiert er souverän „Ich weiß es nicht.“, vier mal ist sein Wissen dem Vergessen anheim gefallen („Ich weiß nicht mehr“). Darüber hinaus räumt er (in der Reihenfolge ihrer Frequenz) ehrlich ein „Ich weiß nicht, wie“ (34x), „Ich weiß nicht, ob“ (16x), „Ich weiß nicht, was“ (14x), „Ich weiß nicht, wer“ (6x), „Ich weiß nicht, warum“ (6x). Dabei hat das Unwissen durchaus universalen Charakter in seiner Kolumne:
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Wenn Wagner konstatiert „Niemand weiß, wann und warum“, „Niemand weiß, wer Sie wirklich sind.“, „Niemand weiß, was sie denken.“, „Niemand weiß, wer er ist.“ oder „Niemand weiß, was uns droht.“, dann wird das Unwissen als tragischer Zustand alles Seienden sichtbar.
Wagner hat Angst
Wer so wenig weiß, hat Angst. Selten hat er „Angst um“ seine Adressaten oder „um Jogis Jungs“, obwohl diese durchaus angebracht wäre.
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Wagner hat vielmehr Angst davor, Rentner oder ein Pflegefall in Deutschland zu werden, vor Krebs, vor den letzten Tagen. Aber auch vor Kim Jong-un und einem Wachs-Hitler (und bemerkenswerte Koinzidenz: Angst auf der Autobahn). Und schließlich hat er Angst nachts in Berlin, Angst vor Berlin und Angst, nachts durch Berlin zu gehen.
Wagner schämt sich
Häufig kann Wagner auch umhin, sich für die Untaten seiner Adressaten oder für uns alle zu schämen.
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Doch was wäre das Psychogramm des Kolumnisten ohne sein Bewusstsein, von Zeit zu Zeit selbst soziale Erwartungen enttäuschen zu müssen, das sich im Gefühl der Scham äußert. Etwa wenn er schreibt: „Ich schäme mich für mein Talent“. Der Meister leidet an seinem Talent und der empfindsame Leser ist in diesem Gefühl ganz bei ihm.