Sie wollen die Revolution? Ein bisschen die Welt retten? Oder Sie möchten einfach nur erfolgreich trollen, provozieren, spalten? Achten Sie auf Ihre Sprache! Denn sie ist das beste Mittel, die Wirklichkeit so zu konstruieren, dass nur Ihr Denken als vernünftig und gerecht und nur Ihr Handeln als schlüssig und integer erscheint, das Ihrer Gegner hingegen als falsch, unmoralisch, korrupt oder von mangelnder Awareness geprägt.
Machen Sie sich zunächst mit folgenden Aspekten der Bedeutung vertraut, um möglichst virtuos auf der Klaviatur der sprachlichen Wirklichkeitskonstruktionen spielen zu können:
- deskriptiver Bedeutungsaspekt: inhaltliche Merkmale, die an einem Sachverhalt durch die Bezeichnung hervorgehoben werden
- deontischer Bedeutungsaspekt: die Bewertung die die Verwendung eines Ausdrucks transportiert und ihre normative Dimension
- konnotativer Bedeutungsaspekt: Assoziationen und Emotionen, die mit der Verwendung eines Ausdrucks verbunden sind
- Referenzobjekt(e): mit dem Ausdruck bezeichnete Gegenstände oder Sachverhalte
Folgen Sie bei der Wahl ihrer Wörter den vier goldenen Regeln:
1. Verengen Sie die deskriptiven Bedeutungsaspekte durch die Wahl Ihrer Bezeichnung auf einen Bereich, der möglichst negativ besetzt ist und ein hohes Skandalisierungspotenzial hat. Spechen Sie von der BRD als einer „Parteiendiktatur“ oder sagen Sie, dass wir in einer „Rape Society“ leben. Oder nennen Sie Personen, die sich für eine Gleichstellung der Geschlechter einsetzen, „Femnazis“. Bedenken Sie aber, dass nicht immer das böseste Wort auch das wirkungsvollste ist, denn es könnte auf Sie zurückfallen.
Welche Bezeichnung wäre wohl für den 29C3 die beste?
- „Sexistencongress“
- „Kongress für heterosexuelle weiße Männer“
- „Burschentag“
Die Antwort ist b., denn mit dieser Bezeichnung transportieren Sie Sexismus- und Rassismusvorwurf, ohne selbst allzu aggressiv zu wirken; „weiß“, „heterosexuell“ und „Mann“ sind ja für die Mehrheit der Menschen erstmal keine bösen Wörter.
2. Wenn Sie etwas kritisieren wollen, erweitern Sie den Bedeutungsumfang eines negativ konnotierten Begriffs so weit, dass der in Ihren Augen kritikwürdige Sachverhalt unter diesen Begriff subsummiert werden kann. Achten Sie darauf, dass die konnotativen und deontischen Bedeutungsaspekte dadurch nicht verwässert werden. Sprechen Sie von „Vergewaltigungskultur“ und sagen Sie Sätze wie: „Ich kann es nicht leiden, wenn mir jemand so intenisv in die Augen guck[t], da fühle ich mich vergewaltigt.“
3. Wenn Wörter nicht in dem Sinn verwendet werden, der Ihren Anliegen entspricht, referieren Sie auf ihre „eigentliche“ oder „ursprüngliche“ Bedeutung, die immer gültig ist. Kritisieren Sie jede Verwendung, in der die Bedeutung von der „eigentlichen“ Bedeutung abweicht, als fehlerhaft, politisch motiviert oder unethisch. Ein hervorragendes Beispiel liefert Ihnen Sprachwissenschaftler A.S., der während seines Talks auf dem 29C3 sagte:
„Student“ bedeutet: „Mann, der studiert“ und nichts anderes. Es bedeutet in jedem Kontext „ein Mann, der studiert“.
Lehnen Sie wie A.S. das Konzept der Gebrauchsnorm ab. Erklären Sie einfach, dass es falsch ist, wenn die Massenmedien „Student“ im Sinn von „Person, die studiert“ verwenden und spekulieren Sie über strukturellen Sexismus. Werfen Sie alle Vorurteile gegenüber dem Analogismus, Präskriptivismus und Purismus über Bord: Die Bedeutung liegt für Sie in den Worten selbst oder in den Strukturen der Sprache, nicht aber in ihrem Gebrauch.
4. Verwenden Sie normative Begriffe mit dem Anspruch, ausnahmslos alle Referenzobjekte mit Ihrer Bezeichnung zu erfassen. Damit schließen Sie nämlich all jene traditionell unter die Bezeichnung gefassten Referenzobjekte aus, die den normativen Ansprüchen nicht entsprechen. Dadurch eröffnen Sie sich völlig neuartige Handlungsoptionen. Reservieren Sie die Bezeichnung „Mensch“ beispielsweise ausschließlich für jene, die sich nicht zu Knechten der von Ihnen verhassten Ordnung gemacht haben, und nennen Sie alle anderen „Typen“ oder „Schweine“. Nun können Sie Sätze sagen wie:
„Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine. Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, kein Mensch. Und so haben wir uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden. Und natürlich kann geschossen werden. Denn wir haben nicht das Problem, daß das Menschen sind, insofern es ihre Funktion ist beziehungsweise ihre Arbeit ist, die Verbrechen des Systems zu schützen, die Kriminalität des Systems zu verteidigen und zu repräsentieren. Und wenn wir es mit ihnen zu tun haben, dann sind das eben Verbrecher, dann sind das eben Schweine, und das ist eine ganz klare Front.“
Sie haben die höchste Stufe der sprachlichen Radikalisierung erreicht. So werden Sie jeden Shitstorm mit einem Achselzucken über sich ergehen lassen, nach jedem Twitterwar als Sieger oder Siegerin vom Feld schreiten. Sie werden für viele Tweets sorgen und häufig retweetet werden. Sie haben erfolgreich getrollt, nachhaltig gespaltet oder die Welt gerettet! Herzlichen Glückwunsch!
Ich habe noch einen Vorschlag zum Trollen.
Mensch stelle einfach feministische Kritik, die mit einem Haufen Überlegungen einhergeht, neben eine der hässlichsten Entmenschlichungstiraden der RAF.
Das mit der Gebrauchsnorm ist ein guter Witz, nur dass es durchaus Indizien gibt, dass auch im Gebrauch Frauen* bei nicht gegenderten Wörtern untergehen und gewissermaßen nur sekundär mitgemeint. Sagen sie mal jemensch er solle drei Studenten aufzeichnen und dann jemensch anders er solle drei Student_innen aufzeichnen. Anschließend vergleichen Sie das Ergebnis und fragen sich eventuell, wie das jetzt eigentlich mit der Gebrauchsnorm ist.
Aber hey, alles Terrorist_innen und Weltverbesserer_innen, denn radikal sind schließlich immer die anderen.
Herzlichen Glückwunsch: Sie sind selbst ein Troll!
hallo tuli, ich möchte nicht als sprachkritiker missverstanden werden und ich kritisiere nirgendwo die anliegen der feministischen sprachkritik. ich will nur ein paar sprachliche strategien offenlegen, die man von mir aus gerne benutzen kann und die wir ja auch ständig alle benutzen. ich möchte nur anregen, sich gedanken darüber zu machen, ob man sich selbst irgendwo grenzen setzen sollte oder wie weit man die konstruktionen treibt. die beispiele aus dem feminismus (und NB: aus dem antifeminismus) habe ich genommen, weil sie halt gerade aktuell diskutiert werden. aber die strategien finden sich überall. und klar: der text trollt. wenn du mich als troll bezeichnest, dann hast du regel 1 immerhin schon verinnerlicht!
„und ich kritisiere nirgendwo die anliegen der feministischen sprachkritik“
Nein, aber du nimmst Aspekt heraus, die du dann in eine Linie stellst mit Aspekten der RAF. Was selbstredend eine viel subtilere Art und Weise ist, dagegen zu agitieren, und die sich auch wesentlich schwerer selbst kritisieren lässt.
„ich möchte nur anregen, sich gedanken darüber zu machen, ob man sich selbst irgendwo grenzen setzen sollte oder wie weit man die konstruktionen treibt“
Dabei scheinst du mir in diesem Text jedoch selbst Grenzen überschritten zu haben, die deinem Text zu Grunde liegen (zumindest in meiner Interpretation).
„beispiele aus dem feminismus (und NB: aus dem antifeminismus)“
Diese scheinbare Neutralität ist meines Erachtens eher ein Problem als ein Vorzug, da sie Unterschiede verdeckt, die ich für relevant halte (zugegebenermaßen ein Werturteil, das hier im Hintergrund steht).
„wenn du mich als troll bezeichnest, dann hast du regel 1 immerhin schon verinnerlicht!“
Ich würde diese Bezeichnung, die ich dir verliehen habe, auch wenn sie zugegebenermaßen unter Kategorie 1 subsummierbar ist, lieber als immanente Kritik verstanden wissen.
ich gebe dir ja mit vielem recht. natürlich wirkt ein (vom leser konstruierbarer) raf-vergleich fast wie ein nazi-vergleich. insofern hast du recht, dass der text selbst das potenzial hat, als skandalisierend gelesen zu werden. das liegt auch an der textsorte und der satirischen schreibweise. und du darfst mich gerne einen „troll“ nennen, mein kommentar dazu war ja auch als immanente kritik gemeint :-). ärgerlich ist, dass es immer die so geschriebenen texte sind, die diskussionen auslösen; umso dankbarer bin ich, dass du auch den rechtsextremismus-text gelesen und kommentiert hast.
aber ich möchte nochmal betonen, dass ich in meinem text keine sprachkritk betreibe. auch nicht an der sprache der raf. die sprachkritik wird von dir als leser in den text hineingetragen (und dies anzuregen, war durchaus eine absicht des textes). wenn du findest, dass die von mir anhand der raf illustrierte sprachliche strategie nicht vergleichbar ist mit den strategien des sprachgebrauchs in der politik allgemein, dann benenne doch bitte die unterschiede. das fände ich wirklich interessant. natürlich habe ich bei regel 4, die aus meiner sicht die extremste form ist, absichtlich ein extremes beispiel gewählt, um ein nachdenken über die folgen und möglichen grenzen sprachlicher konstruktionen anzuregen. diese grenzen sind dann dinge, die sich in der tat nur vor dem hintergrund persönlicher oder politischer ziele entscheiden lassen. ich kann beispielsweise verstehen, warum menschen es vor dem hintergrund ihrer agenda für sinnvoll halten, das wort „vergewaltigungskultur“ zu benutzen.
du scheinst der meinung zu sein, dass ich keine beispiele aus dem sich als radikal verstehenden feminsimus hätte benutzen dürfen. ich habe meine zweifel, ob es sich bei den strategiene, bei denen ich die beispiele aus dem bereich des feminismus ausgewählt habe, tatsächlich um „aspekte“ des feminismus handelt, wie du schreibst. aus meiner sicht ist die benutzung dieser sprachlichen strategien keine eigenschaft des feminismus sondern eine der politischen kommunikation oder der kommunikation überhaupt. insofern halte ich sie auch nicht für kritikwürdig. ich hatte für den text unterschiedliche beispielbereiche ausprobiert. jeder war auf seine ganz eigene weise hochproblematisch. aber beim zweiten teil der anleitung, wenn es um pragmatische aspekte gehen wird, nehme ich andere.
„insofern hast du recht, dass der text selbst das potenzial hat, als skandalisierend gelesen zu werden. das liegt auch an der textsorte und der satirischen schreibweise. und du darfst mich gerne einen “troll” nennen, mein kommentar dazu war ja auch als immanente kritik gemeint :-).“
Nur das ich kein Problem habe, mit dem Skandalisieren, weswegen es keine immanente Kritik an mir sein kann, dass ich skandalisiere, während du ja das Skandalieren skandalierst, also in einem Widerspruch landest. Ich hingegen haben das Skandalisieren des Skandalisierens skandalisiert, also einfach gesprochen den Widerspruch skandalisiert. Demnach müsste eine immanente Kritik an mir kein Skandalisieren, sondern einen Widerspruch nachweisen. Wobei vielleicht nicht einmal das reichen würde, denn auch den Anspruch der Widerspruchslosigkeit stelle ich eigentlich nicht, sondern übernehme ihn viel mehr aus deinem Text.
„ärgerlich ist, dass es immer die so geschriebenen texte sind, die diskussionen auslösen“
Dass ein polemischer Text mehr Reaktion hervorruft, liegt ja beinahe schon in der Natur der Sache. Zudem werden sehr viele, sehr unterschiedliche und sehr stark emotionalisierte Themenbereiche. Es ist viel einfacher, sich auf diesen Text hier einzuschießen. Während beim anderen Text noch ein viel höheres Maß an Sachkenntnis notwendig ist, um sinnvoll etwas kritisieren zu können.
„aber ich möchte nochmal betonen, dass ich in meinem text keine sprachkritk betreibe. auch nicht an der sprache der raf. die sprachkritik wird von dir als leser in den text hineingetragen (und dies anzuregen, war durchaus eine absicht des textes).“
Nun damit scheinst du mir zu sagen, dass sie zwischen den Zeilen steht. Also dein Text bildet sozusagen einen suggestiven Raum für Sprachkritik. Ich sehe aber keinen Grund, warum ich, dass was „nur“ suggeriert wird nicht kritisieren dürfte.
„wenn du findest, dass die von mir anhand der raf illustrierte sprachliche strategie nicht vergleichbar ist mit den strategien des sprachgebrauchs in der politik allgemein, dann benenne doch bitte die unterschiede. das fände ich wirklich interessant.“
Hm, nun eine Möglichkeit scheint mir eine humanistische Position zu sein. Mensch könnte die Würde des Menschen so hoch bewerten, um das Beispiel für etwas qualitativ anderes zu halten. Aber auch hier, steht wiederum eine Wertung im Hintergrund und als Humanisten empfinde ich mich eigentlich auch nicht.
Vielmehr geht es mir um das:
„diese grenzen sind dann dinge, die sich in der tat nur vor dem hintergrund persönlicher oder politischer ziele entscheiden lassen.“
Die Strategien des Sprachgebrauchs sind meines Erachtens niemals ganz von diesen Grenzen zu trennen. So zu tun als ob, ist wiederum nur eine Grenze zu ziehen, die sich als eben solche politisch-ethische Grenze problematisieren lässt.
„du scheinst der meinung zu sein, dass ich keine beispiele aus dem sich als radikal verstehenden feminsimus hätte benutzen dürfen.“
Jein. Ich denke Beispiele aus dem Feminismus lassen sich durchaus heranziehen, wenn es wirklich um die Bedeutungsaspekte geht, aber die Kontextualisierung ist meines Erachtens das Problem.
Auch die Einordnung von so unterschiedlichen Phänomen als „radikal“ ist meines Erachtens problematisch. Der Begriff ist sehr verwaschen, erscheint hier fast identisch mit dem noch problematischeren Begriff „extremistisch“.
„aus meiner sicht ist die benutzung dieser sprachlichen strategien keine eigenschaft des feminismus sondern eine der politischen kommunikation oder der kommunikation überhaupt.“
Ja, in Ordnung. Aber gerade dadurch, dass du Feminismus bzw. Aussagen aus dem Kontext des Feminismus heranziehst, um etwas anderes zu zeigen, führt deine Beispielführung dazu, dass das eigentliche Anliegen des Feminismus in der Hintergrund rückt. Stattdessen eröffnest du damit eine sprachliche Front auf der eine politische Bewegung angegriffen werden kann, ohne dass bei dieser Front dann noch ihre politischen Inhalte wichtig wären.
Um es anders zu formulieren: Die Wahl dessen, was problematisiert wird, ist auch immer schon eine politische Wahl.
hallo tuli, ich war beruflich leider sehr eingespannt. du hast selbstverständlich das recht zu kritisieren und wir müssen uns auch nicht darauf einigen, wie denn jetzt der text „richtig“ zu verstehen ist. ich wollte nur klar machen, wie ich ihn verstanden haben möchte, was nicht heißt, dass er nicht so konstruiert ist, dass er zu anderen interpretationen einlädt oder leserinnen und leser dazu verführen will, sie vorzunehmen. was den feminismus und seine sprachkritik betrifft, so finde ich, dass er es durchaus aushält, auch mal als beispiel in einer formal intendierten betrachtung herzuhalten für dinge, die manche menschen vielleicht grässlich finden. und der feminismus dürfte es auch aushalten, dass seine anliegen mal in den hintergrund gerückt werden, zumal in einem so unbedeutenden blog wie diesem hier. hinsichtlich der bezeichnung „radikal“: ich verwende sie im beitrag ja gar nicht, sondern zitiere sie nur im kommentar als selbstzuschreibung von personen oder gruppen. die eine zitierte feministin bezeichnet ihre positionen nun mal als radikal; das kann man in ihrem blog nachlesen. und auch andere, die zitiert werden, haben sich selbst und ihr handeln als „radikal“ bezeichnet. mit „extremistisch“ hat das meines erachtens nichts zu tun. mir geht es um radikalisierung von debatten, also die wachsende tendenz aussagen zu machen, die die unvereinbarkeit mit der gegenpositionen betonen (oder performativ herstellen), die gegenposition als unwahr oder unethisch erscheinen lassen oder die vertreter der gegenposition menschlich abwerten und damit natürlich auch die kritisierte haltung. mir ist auch klar, dass das, was ich als radikalisierung bezeichne, eine strategie sein kann, wenn man mit dialogen nicht weiterzukommen glaubt.
Bei den Feministinnen ist die Radikalisierung schon erfolgreich eingetreten. Zu gerne halten sie alles andere als falsch und ihre eigene Meinung für die Richtige, Gottgegebene. Na, wenn das sich nicht irgendwann rächt…