Kollokationen und Koalitionen: Die semantische Nähe von Parteiprogrammen in korpuslinguistischer Perspektive

Posted on 4th August 2013 in Kollokationen, Semantik

Semantische Nähe von Texten kann man auf unterschiedliche Weisen berechnen. Eine Möglichkeit besteht darin, die Verwendungsweisen von Schlüsselbegriffen zu vergleichen. Wenn zentrale Begriffe in Texten ähnlich verwendet werden (in korpuslinguistischer Perspektive: ein ähnliches Kollokationsprofil haben), dann sind sich die Texte ähnlich.

Dieses Verfahren habe ich verwendet, um die Nähe zwischen den Wahlprogrammen der Parteien zu berechnen. Vielleicht kann diese als Indiz dafür gelten, ob sich die Parteien als Koalitionspartner eignen oder nicht. Verglichen wurden die Kollokationsprofile von 350 frequenten Wörtern aus unterschiedlichen Politikbereichen. Im Folgenden zunächst die Ergebnisse der für die CDU.

cdu_koalitionen

Die größte semantische Nähe zum Wahlprogramm der CDU hat wenig überraschend das Wahlprogramm der FDP. Besonders ähnlich werden Wörter aus den Bereichen Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie Bildung benutzt. Überraschend ist die Nähe des CDU-Wahlprogramms zu dem der Piratenpartei. Diese verdankt sich dem ähnlichen Gebrauch von Schlagwörtern aus dem Bereich der Arbeitsmarktpolitik und dem Bereich Integration / Vielfalt / Beteiligung. Interessant ist zudem, dass aus Sicht des CDU-Wahlprogramms die Nähe zu BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN größer ist als die Nähe zur SPD: Schwarz-grün wäre also in semantischer Perspektive besser als eine große Koalition. Bei der SPD ergibt sich ein anderes Bild:

spd_koalitionen

Neben der großen semantischen Nähe zu den GRÜNEN ist hier bemerkenswert, dass die CDU im Näheranking der zweitbeste Partner für eine Koalition wäre. Eine Neuauflage der sozialliberalen Koalition läge in korpuslinguistischer Perspektive sogar näher als eine Zusammenarbeit mit der Partei DIE LINKE — vielleicht wird hier die Handschrift Peer Steinbrücks sichtbar. Große Differenzen zwischen LINKE und SPD finden sich besonders bei Schlagwörtern aus den Bereichen der Arbeitsmarktpolitik, Arbeitnehmerrechte und Bildungspolitik. Von besonderem Interesse ist natürlich auch die semantische Nähe der GRÜNEN zu den anderen Parteien, könnten diese doch je nach Wahlausgang zum Zünglein an der Waage werden.

gruene_koalitionen

Das Wahlprogramm der GRÜNEN zeigt eine klare Affinität zum Wahlprogramm der SPD. Die korpuslinguistische Untersuchung würde den GRÜNEN eher zu einer Linkskoalition raten, denn die semantische Nähe zur Partei DIE LINKE ist deutlich größer als die zur CDU.

Aber der Sprachgebrauch kann sich schnell ändern. Er passt sich den politischen Gegebenheiten an. Und Wahlprogramme sind keine Regierungsprogramme.


Comments are closed.