Die AfD wehrt sich heftig gegen die Zuschreibung, rechtspopulistisch zu sein. Sie sucht die Schuld dann bei den Medien, die zu bequem seien, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, und scheut auch nicht vor persönlichen Diffamierungen von Wissenschaftlern zurück, die Inhalte und Politikstil der AfD als „populistisch“ bezeichnen. Für eine Tagung der Arbeitsgemeinschaft Sprache in der Politik habe ich die Sprache der AfD daraufhin untersucht, ob sich in ihr Merkmale finden, die es rechtfertigen, die AfD als populistische Partei zu bezeichnen oder ob die Zuschreibungen der Presse unbegründet sind.
In der politikwissenschaftlichen Debatte lassen sich grob zwei Traditionslinien der Definition von „Populismus“ ausmachen:
- Populismus ist ein Politikstil, der sich durch die Neigung, die „in einem politischen System festgelegten Spielregeln in Frage zu stellen und zu verletzen“ (Szacki 2005: 23) auszeichnet. Tabubrüche und Skandalisierung sind die Mittel dieses Stils.
- Populismus ist auch eine Ideologie, die durch mindestens zwei Merkmale bestimmt ist: den Rekurs auf das Volk, wobei der Begriff „Volk“ nicht im Sinne eines Staatsvolkes gebraucht sondern als homogene Einheit verstanden wird (bspw. als nationale Abstammungsgemeinschaft); sowie eine ausgeprägte Frontstellung gegen die gesellschaftlichen Eliten (Geden 2006: 19, 26).
Datengrundlage
Die Datengrundlage für die im folgenden kurz zusammengefassten Ergebnisse, waren die Pressemitteilungen und Wahlprogramme von sieben Parteien, die sich um Mandate im Landtag in Rheinland-Pfalz bewerben.
Das Korpus der Wahlprogramme setzte sich wie folgt zusammen:
Partei | wordcount |
---|---|
AFD Wahlprogramm | 9863 |
CDU Regierungsprogramm | 28322 |
FDP Landtagswahlprogramm | 36163 |
Grüne Landtagswahlprogramm | 44582 |
Die Linke Landtagswahlprogramm | 21523 |
NPD „10 Punkte“ | 1727 |
SPD Regierungsprogramm | 21746 |
Neben Wahlprogrammen habe ich auch die auf den Webseiten der Parteien veröffentlichten Pressemitteilungen und Stellungnahmen analysiert, die als autorisierte Meinungsäußerungen ebenfalls die Haltung des jeweiligen Landesverbands zu einem politischen Thema repräsentieren.
Partei | wordcount | no. of texts |
---|---|---|
AfD Rheinland-Pfalz | 57964 | 237 |
CDU Rheinland-Pfalz | 74283 | 261 |
FDP Rheinland-Pfalz | 27648 | 73 |
Gruene Rheinland-Pfalz | 241876 | 914 |
Die Linke Rheinland-Pfalz | 154179 | 509 |
NPD Rheinland-Pfalz | 63894 | 174 |
SPD Rheinland-Pfalz | 22221 | 93 |
Skandalisierung
Um zu untersuchen, ob der Politikstil der AfD mehr als der anderer Parteien von Skandalisierungen geprägt ist, habe ich die Distribution einer Reihe von Merkmalen in den Pressemitteilungen aller Parteien gemessen und mit einander in Beziehung gesetzt. Im Einzelnen waren dies:
- die Zahl negativ wertender Adjektive
- die Zahl von Intensivierern aus dem absoluten, extrem hohen und sehr hohen Intensivierungsbereich; Intensivierer kodieren Emotionen und den Grad von Überzeugungen, bzw. der Rigorosität, mit der sie vertreten werden.
- der Umfang des Gebrauchs skandalisierender Vokablen
- die Zahl von Kommunikationsverben, die auf Konflikte verweisen
Für jede dieser funktional und semantisch definierten Wortklassen wurde die relative Frequenz in jedem Korpus berechnet und die Differenz zur relativen Häufigkeit in der Summe aller anderen Korpora bestimmt.
Die Analyse zeigt, dass bei der AfD alle untersuchten Indikatoren deutlich überdurchschnittlich häufiger auftreten als in der Summe der anderen Parteien. Keine andere Partei zeigt auf allen Indikatoren so gleichmäßige positive Ausprägungen. Dies erlaubt den Schluss, dass die Pressemitteilungen der AfD stärker emotionalisieren und skandalisieren als die aller anderen Parteien.
Rekurs auf das Volk
Die AfD in Rheinland-Pfalz vertritt — anders als andere Landesverbände — keine offen völkische Ideologie. Die Konstruktion einer deutschen Eigengruppe erfolgt durch die im Vergleich zu anderen Parteien überdurchschnittliche Thematisierung der Politikfelder Flüchtlinge, Asyl und Migration. Berechnet man beispielsweise, welche Substantive für die AfD RLP im Vergleich zu allen anderen Parteien signifikant sind, werden die thematischen Schwerpunkte deutlich (rot markierte Lexeme):
Die AfD tritt zudem für mehr plebiszitäre Elemente ein. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn man die Komposita mit den lexikalischen Morphem /volk/ und /bürger/ in ihrem Wahlprogrammen untersucht. Abgesehen von „Volkswirtschaft“ thematisieren alle Komposita mit /volk/ größere Partizipationsmöglichkeiten der deutschen Staatsbürger.
Volksbeteiligung, Volksentscheid, Volkspartei, Volksbegehren, Volksherrschaft, Volksinitiative, Volksabstimmung, Volkssouveränität, Volkswirtschaft
Ähnlich sieht es bei Komposita mit dem lexikalischen Morphem /bürger/ aus:
Bürgergesellschaft, Mitbürger, Bürgerinteresse, Bürgerentscheid, Bürgertum, Bürgerbüro, Bürgerbeteiligung, Staatsbürgerschaft, bürgerlich, Bürgerbegehren, Normalbürger
Im Wahlprogramm der CDU finden sich dagegen gerade einmal drei Komposita, die mehr Beteiligung der Bürger thematisieren:
volkswirtschaftlich, Volksentscheid, Volksverhetzung, Volksinitiative, Bürgerschaft, Bürgerkrieg, Bürgerinitiative, Bürgerin, Bürgerbusse, Nicht-EU-Bürger, bürgerschaftlich, Bürgertickets, Staatsbürgerschaft, bürgernah, Bürgerbeteiligung, Bürgermeister
Die AfD erklärt damit den Volkswillen für zentral und konstruiert das „Volk“ in Abgrenzung zu Asylsuchenden und Migranten.
Frontstellung gegen das „Establishment“
Die Ablehnung des Establishment hat in der AfD zahlreiche Facetten. Einerseits unterstellt die Partei, Medien, Politik und sonstige Eliten hätten einen Verblendungszusammenhang konstruiert. Die AfD hingegen trete der allgegenwärtige Manipulation mit den Mitteln der Wahrheit und der Vernunft entgegen. Untersucht man, wie häufig Lexeme in den Pressemitteilungen Verwendung finden, die auf Lüge, Manipulation und einen allgegenwärtigen Verblendungszusammenhang verweisen, dann ergibt sich folgendes Bild:
In fast allen Kategorien weist die AfD eine deutlich überdurchschnittliche Referenz auf vermeintliche Manipulationen, Lügen oder verborgene Wahrheiten auf. Bei keiner anderen Partei — außer vielleicht der NPD — ist die Distribution über alle Klassen ähnlich kohärent und verweist somit auf eine Neigung zu Verschwörungstheorien.
Ebenso aufschlussreich ist die Analyse von metasprachlich markierten Ausdrücken. Setzt man Wörter in Anführungszeichen oder distanziert man sich von einer Bezeichnung, indem man ein „sogenannt“ davorsetzt, ist dies ein Indikator für implizite bzw. explizite Sprachkritik. Untersucht man, wie häufig alle Parteien sich solcher metasprachlicher Markierungen bedienen, ergibt sich folgendes Bild:
Die AfD bedient sich weitaus häufiger als die anderen Parteien des demokratischen Spektrums metasprachlicher Markierungen und zeigt so ihre Distanz zur herrschenden Semantik. Sie weist eine ähnlich hohe Zahl an metasprachlichen Markierungen wie die NPD auf.
Untersucht man, welche Ausdrücke von der AfD metasprachlich markiert werden, wird die Distanz zum sog. Establishment deutlich. Neben Ausdrücken, die Migration thematisieren, sind dies von der AfD zu bloßer Ideologie verteufelte Wissenschaften sowie Wissenschaftler und sonstige Experten.
Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik | Gender, Diversity | Experten und Akademiker |
---|---|---|
Flüchtling | Gender-Mainstreaming | Experte |
Grenzschutz | Gender Studies | neue Akademiker |
vorübergehend | soziales Geschlecht | akademisches Prekariat |
Euro-Islam | geschlechtergerechte Sprache | Wissenschaftler |
Asyl-Zuwanderung-über-alles | Political Correctness | Rechtsextremismusexperte |
Völkerwanderung | Gleichstellungsbeauftragte | Elite |
Parallelgesellschaften | Gender Mainstreaming | Diplom-Sozialwissenschaftler |
Sucht man in den Pressmitteilungen der AfD nach Komposita mit dem lexikalischen Morphem /partei/, so findet man folgende Bezeichnungen für andere Parteien:
Parteienherrschaft, Altpartei, Alt-Partei, Kaderpartei, Blockparteienmanier, Altparteienpolitiker
Die Bezeichnung „Altpartei“ in allen Varianten ist dabei absolut dominant. Dass diese Bezeichnung von Joseph Goebbels und anderen Vertretern der NSDAP gerne benutzt wurde, scheint die AfD nicht weiter zu stören. Als Eigenbezeichnung verwendet die AfD gerne Komposita wie:
Volkspartei, Rechtsstaatspartei, Weckruf-Partei, Konfliktpartei, Mitmachpartei, Anti-Europartei, Oppositionspartei
Die Tatsache, dass die AfD den Rest des Parteiensystems pauschal als überkommene Institution abwertet, zeigt, wie sehr sie sich mit ihrer Rhetorik in traditionelle populistische Anti-Eliten-Diskurse einschreibt.
Zusammenfassung
Die Ergebnisse zur Rhetorik der AfD im Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Populismus als Politikstil: Die AfD skandalisiert wie keine andere Partei bei fast allen Indikatoren (negativ wertende Adjektive, Intensivierer, skandalisierende Wortschatz)
- Zentralität des Volkswillens: „Bürger“ und „Volk“ als zentrale Begriffe; Volksabstimmung, Homogenisierung des Volks anhand der Flüchtlingsthematik
- Ablehnung des Establishments: pauschale Kritik an anderen Parteien („Altparteien“), Kritik an akademische Eliten (insbesondere Sozialwissenschaften), Distanzierung von der herrschenden Semantik und von „politischer Korrektheit“, Konstruktion eines Manipulationszusammenhangs
Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass der Landesverband der AfD in Rheinland-Pfalz mit einer populistische Kampagne um Wähler wirbt.
Literatur
- Geden, Oliver (2006): Diskursstrategien im Rechtspopulismus. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
- Szacki, Jerzy (2005): Populismus und Demokratie. Versuch einer Begriffsklärung. In: Rudolf vonThaden / Anna Hofmann (Hrsg.): Populismus in Europa – Krise der Demokratie? Göttingen: Wallstein Verlag. S. 19-24.
Interessante Analyse! Nicht dass die AfD etwas anderes als Lügenkresse darin sehen würde…
Auch wenn es mir Bauchschmerzen verursacht, denen vielleicht doch ein kleines Argument an die Hand zu geben: Ist die Abbildung von einem negativ konnotierten Adjektiv wie „populistisch“, das im Gebrauch auf der anderen Seite des politischen Spektrums zum Teil den Eindruck eines Kampfbegriffes erweckt, auf harte, quantitative Merkmale und die Klassifikation anhand dieser Merkmale wirklich so verlässlich wie uns die schönen Zahlen glauben machen wollen? Anders gefragt, haben wir nicht ein Evaluationsproblem?
Ich bin nicht sicher, ob ich den Kommentar richtig verstehe, aber ich denke schon, dass man „populistisch“ als analytische Kategorie im skizzierten Sinn benutzen kann, auch wenn natürlich die Zuschreibung „populistisch“ aißerhalb der Wissenschaft immer auch als politisch wahrgenommen wird und politisch ist. Hinsichtlich der Verlässlichkeit der Messinstrumente haben sich einige tatsächlich als sehr stabil erwiesen (z.B. Sprachthematisierungen), bei anderen stehen umfangreiche Tests erst noch aus. Aber insgesamt sind die Messungen schon eher grob…