Ist die AfD eine populistische Partei? – Eine Analyse am Beispiel des Landesverbands Rheinland-Pfalz

Posted on 13th März 2016 in Allgemein, Extremismus, Politik

Die AfD wehrt sich heftig gegen die Zuschreibung, rechtspopulistisch zu sein. Sie sucht die Schuld dann bei den Medien, die zu bequem seien, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, und scheut auch nicht vor persönlichen Diffamierungen von Wissenschaftlern zurück, die Inhalte und Politikstil der AfD als „populistisch“ bezeichnen. Für eine Tagung der Arbeitsgemeinschaft Sprache in der Politik habe ich die Sprache der AfD daraufhin untersucht, ob sich in ihr Merkmale finden, die es rechtfertigen, die AfD als populistische Partei zu bezeichnen oder ob die Zuschreibungen der Presse unbegründet sind.

In der politikwissenschaftlichen Debatte lassen sich grob zwei Traditionslinien der Definition von „Populismus“ ausmachen:

  1. Populismus ist ein Politikstil, der sich durch die Neigung, die „in einem politischen System festgelegten Spielregeln in Frage zu stellen und zu verletzen“ (Szacki 2005: 23) auszeichnet. Tabubrüche und Skandalisierung sind die Mittel dieses Stils.
  2. Populismus ist auch eine Ideologie, die durch mindestens zwei Merkmale bestimmt ist: den Rekurs auf das Volk, wobei der Begriff „Volk“ nicht im Sinne eines Staatsvolkes gebraucht sondern als homogene Einheit verstanden wird (bspw. als nationale Abstammungsgemeinschaft); sowie eine ausgeprägte Frontstellung gegen die gesellschaftlichen Eliten (Geden 2006: 19, 26).



Datengrundlage

Die Datengrundlage für die im folgenden kurz zusammengefassten Ergebnisse, waren die Pressemitteilungen und Wahlprogramme von sieben Parteien, die sich um Mandate im Landtag in Rheinland-Pfalz bewerben.

Das Korpus der Wahlprogramme setzte sich wie folgt zusammen:

Partei wordcount
AFD Wahlprogramm 9863
CDU Regierungsprogramm 28322
FDP Landtagswahlprogramm 36163
Grüne Landtagswahlprogramm 44582
Die Linke Landtagswahlprogramm 21523
NPD „10 Punkte“ 1727
SPD Regierungsprogramm 21746


Neben Wahlprogrammen habe ich auch die auf den Webseiten der Parteien veröffentlichten Pressemitteilungen und Stellungnahmen analysiert, die als autorisierte Meinungsäußerungen ebenfalls die Haltung des jeweiligen Landesverbands zu einem politischen Thema repräsentieren.

Partei wordcount no. of texts
AfD Rheinland-Pfalz 57964 237
CDU Rheinland-Pfalz 74283 261
FDP Rheinland-Pfalz 27648 73
Gruene Rheinland-Pfalz 241876 914
Die Linke Rheinland-Pfalz 154179 509
NPD Rheinland-Pfalz 63894 174
SPD Rheinland-Pfalz 22221 93



Skandalisierung

Um zu untersuchen, ob der Politikstil der AfD mehr als der anderer Parteien von Skandalisierungen geprägt ist, habe ich die Distribution einer Reihe von Merkmalen in den Pressemitteilungen aller Parteien gemessen und mit einander in Beziehung gesetzt. Im Einzelnen waren dies:

  • die Zahl negativ wertender Adjektive
  • die Zahl von Intensivierern aus dem absoluten, extrem hohen und sehr hohen Intensivierungsbereich; Intensivierer kodieren Emotionen und den Grad von Überzeugungen, bzw. der Rigorosität, mit der sie vertreten werden.
  • der Umfang des Gebrauchs skandalisierender Vokablen
  • die Zahl von Kommunikationsverben, die auf Konflikte verweisen

Für jede dieser funktional und semantisch definierten Wortklassen wurde die relative Frequenz in jedem Korpus berechnet und die Differenz zur relativen Häufigkeit in der Summe aller anderen Korpora bestimmt.


Die Analyse zeigt, dass bei der AfD alle untersuchten Indikatoren deutlich überdurchschnittlich häufiger auftreten als in der Summe der anderen Parteien. Keine andere Partei zeigt auf allen Indikatoren so gleichmäßige positive Ausprägungen. Dies erlaubt den Schluss, dass die Pressemitteilungen der AfD stärker emotionalisieren und skandalisieren als die aller anderen Parteien.



Rekurs auf das Volk

Die AfD in Rheinland-Pfalz vertritt — anders als andere Landesverbände — keine offen völkische Ideologie. Die Konstruktion einer deutschen Eigengruppe erfolgt durch die im Vergleich zu anderen Parteien überdurchschnittliche Thematisierung der Politikfelder Flüchtlinge, Asyl und Migration. Berechnet man beispielsweise, welche Substantive für die AfD RLP im Vergleich zu allen anderen Parteien signifikant sind, werden die thematischen Schwerpunkte deutlich (rot markierte Lexeme):


Die AfD tritt zudem für mehr plebiszitäre Elemente ein. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn man die Komposita mit den lexikalischen Morphem /volk/ und /bürger/ in ihrem Wahlprogrammen untersucht. Abgesehen von „Volkswirtschaft“ thematisieren alle Komposita mit /volk/ größere Partizipationsmöglichkeiten der deutschen Staatsbürger.

Volksbeteiligung, Volksentscheid, Volkspartei, Volksbegehren, Volksherrschaft, Volksinitiative, Volksabstimmung, Volkssouveränität, Volkswirtschaft

Ähnlich sieht es bei Komposita mit dem lexikalischen Morphem /bürger/ aus:

Bürgergesellschaft, Mitbürger, Bürgerinteresse, Bürgerentscheid, Bürgertum, Bürgerbüro, Bürgerbeteiligung, Staatsbürgerschaft, bürgerlich, Bürgerbegehren, Normalbürger

Im Wahlprogramm der CDU finden sich dagegen gerade einmal drei Komposita, die mehr Beteiligung der Bürger thematisieren:

volkswirtschaftlich, Volksentscheid, Volksverhetzung, Volksinitiative, Bürgerschaft, Bürgerkrieg, Bürgerinitiative, Bürgerin, Bürgerbusse, Nicht-EU-Bürger, bürgerschaftlich, Bürgertickets, Staatsbürgerschaft, bürgernah, Bürgerbeteiligung, Bürgermeister

Die AfD erklärt damit den Volkswillen für zentral und konstruiert das „Volk“ in Abgrenzung zu Asylsuchenden und Migranten.



Frontstellung gegen das „Establishment“

Die Ablehnung des Establishment hat in der AfD zahlreiche Facetten. Einerseits unterstellt die Partei, Medien, Politik und sonstige Eliten hätten einen Verblendungszusammenhang konstruiert. Die AfD hingegen trete der allgegenwärtige Manipulation mit den Mitteln der Wahrheit und der Vernunft entgegen. Untersucht man, wie häufig Lexeme in den Pressemitteilungen Verwendung finden, die auf Lüge, Manipulation und einen allgegenwärtigen Verblendungszusammenhang verweisen, dann ergibt sich folgendes Bild:


In fast allen Kategorien weist die AfD eine deutlich überdurchschnittliche Referenz auf vermeintliche Manipulationen, Lügen oder verborgene Wahrheiten auf. Bei keiner anderen Partei — außer vielleicht der NPD — ist die Distribution über alle Klassen ähnlich kohärent und verweist somit auf eine Neigung zu Verschwörungstheorien.

Ebenso aufschlussreich ist die Analyse von metasprachlich markierten Ausdrücken. Setzt man Wörter in Anführungszeichen oder distanziert man sich von einer Bezeichnung, indem man ein „sogenannt“ davorsetzt, ist dies ein Indikator für implizite bzw. explizite Sprachkritik. Untersucht man, wie häufig alle Parteien sich solcher metasprachlicher Markierungen bedienen, ergibt sich folgendes Bild:

afd_rlp_sprachthematisierungen

Die AfD bedient sich weitaus häufiger als die anderen Parteien des demokratischen Spektrums metasprachlicher Markierungen und zeigt so ihre Distanz zur herrschenden Semantik. Sie weist eine ähnlich hohe Zahl an metasprachlichen Markierungen wie die NPD auf.

Untersucht man, welche Ausdrücke von der AfD metasprachlich markiert werden, wird die Distanz zum sog. Establishment deutlich. Neben Ausdrücken, die Migration thematisieren, sind dies von der AfD zu bloßer Ideologie verteufelte Wissenschaften sowie Wissenschaftler und sonstige Experten.

Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik Gender, Diversity Experten und Akademiker
Flüchtling Gender-Mainstreaming Experte
Grenzschutz Gender Studies neue Akademiker
vorübergehend soziales Geschlecht akademisches Prekariat
Euro-Islam geschlechtergerechte Sprache Wissenschaftler
Asyl-Zuwanderung-über-alles Political Correctness Rechtsextremismusexperte
Völkerwanderung Gleichstellungsbeauftragte Elite
Parallelgesellschaften Gender Mainstreaming Diplom-Sozialwissenschaftler


Sucht man in den Pressmitteilungen der AfD nach Komposita mit dem lexikalischen Morphem /partei/, so findet man folgende Bezeichnungen für andere Parteien:

Parteienherrschaft, Altpartei, Alt-Partei, Kaderpartei, Blockparteienmanier, Altparteienpolitiker

Die Bezeichnung „Altpartei“ in allen Varianten ist dabei absolut dominant. Dass diese Bezeichnung von Joseph Goebbels und anderen Vertretern der NSDAP gerne benutzt wurde, scheint die AfD nicht weiter zu stören. Als Eigenbezeichnung verwendet die AfD gerne Komposita wie:

Volkspartei, Rechtsstaatspartei, Weckruf-Partei, Konfliktpartei, Mitmachpartei, Anti-Europartei, Oppositionspartei

Die Tatsache, dass die AfD den Rest des Parteiensystems pauschal als überkommene Institution abwertet, zeigt, wie sehr sie sich mit ihrer Rhetorik in traditionelle populistische Anti-Eliten-Diskurse einschreibt.



Zusammenfassung

Die Ergebnisse zur Rhetorik der AfD im Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Populismus als Politikstil: Die AfD skandalisiert wie keine andere Partei bei fast allen Indikatoren (negativ wertende Adjektive, Intensivierer, skandalisierende Wortschatz)
  2. Zentralität des Volkswillens: „Bürger“ und „Volk“ als zentrale Begriffe; Volksabstimmung, Homogenisierung des Volks anhand der Flüchtlingsthematik
  3. Ablehnung des Establishments: pauschale Kritik an anderen Parteien („Altparteien“), Kritik an akademische Eliten (insbesondere Sozialwissenschaften), Distanzierung von der herrschenden Semantik und von „politischer Korrektheit“, Konstruktion eines Manipulationszusammenhangs

Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass der Landesverband der AfD in Rheinland-Pfalz mit einer populistische Kampagne um Wähler wirbt.



Literatur

  • Geden, Oliver (2006): Diskursstrategien im Rechtspopulismus. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Szacki, Jerzy (2005): Populismus und Demokratie. Versuch einer Begriffsklärung. In: Rudolf vonThaden / Anna Hofmann (Hrsg.): Populismus in Europa – Krise der Demokratie? Göttingen: Wallstein Verlag. S. 19-24.


Sieben entscheidende Fragen zur Bundestagswahl: Die Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien

Posted on 21st September 2013 in Off Topic, Politik

Der Bundeswahlleiter hat einen Datensatz mit den Namen aller Kandidierenden zur Bundestagswahl veröffentlicht. Dies ermöglicht uns einige tiefe Blicke in die Binnenstruktur der Parteien, die bei der Findung unserer Wahlentscheidung hilfreich sein können, denn Sie ermöglichen die Antwort auf folgende wahlentscheidende Fragen:


1. Ist die AfD eine „Professoren-Partei“?
Nein, das ist sie nicht! Bei FDP und CDU ist der Anteil der Professorinnen und Professoren unter den Kandidaten deutlich höher als bei der AfD.

Anteil der Professorinnen und Professoren an den Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Parteien

Anteil der Professorinnen und Professoren an den
Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Parteien



2. Welche Partei schickt die meisten Promovierten ins Rennen?
Auch im Hinblick auf den Anteil Promovierter kann die AfD keine intellektuelle Führerschaft für sich beanspruchen. Hier hat die CSU die Nase klar vorn. Aber wir wissen ja, dass diese Zahlen sich im Laufe einer Legislaturperiode durchaus verändern können, gerade bei der CSU.

Anteil der Promovierten an den Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Parteien

Anteil der Promovierten an den Kandidaten zur Bundestagswahl 2013
nach Parteien

Professorinnen und Proefessoren kandidieren übrigens sehr viel häufiger als ihre Mitbewerber gleichzeitig als Direktkandidaten und via Liste. 70% der kandidierenden Professoren (14) kandidieren doppelt, während es beim Rest der Mandatsbewerber gerade einmal 38% sind. Immerhin noch 57% der Promovierten sind auf doppeltem Ticket Richtung Bundestag unterwegs. Akademische Lorbeeren scheinen sich also auszuzahlen.


3. In welchem Bundesland kandidieren die meisten Promovierten?

Anteil der Promovierten an den Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Bundesländern

Anteil der Promovierten an den Kandidaten zur Bundestagswahl 2013
nach Bundesländern

Den höchsten Anteil Promovierter an den Kandidaten findet sich in Schleswig Holstein (13.7%) und Mecklenburg-Vorpommern (12.6%). Im Saarland ist der Anteil an Promovierten am geringsten (0.0%).


4. Wie alt ist der durchschnittliche Kandidat der einzelnen Parteien?
Im Hinblick auf das Alter der Kandidatinnen und Kandidaten ist die Piratenpartei mit Abstand die jüngste. Ihre Kandidaten sind mit 39,5 Jahren im Durchschnitt noch 5 Jahre jünger als die der Grünen.

Durchschnittsalter der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Parteien

Durchschnittsalter der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013
nach Parteien

Die im Durchschnitt ältesten Kandidaten haben AfD (50,2) und Linkspartei (49,4).


5. Welche Partei hat den höchsten Anteil junger / alter Kandidaten?
Schaut man sich den Anteil junger Kandidatinnen und Kandidaten noch etwas genauer an, so überrascht der hohe Anteil an unter 45-jährigen Kandidaten bei der CSU. AfD und Linke konkurrieren auch hier um den ersten Platz im Vergreisungsranking.

Altersstruktur der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Parteien

Altersstruktur der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013
nach Parteien

Ältester Kandidat ist übrigens Imanuel Regehly, der für die NPD in den Bundestag einmarschieren will. Er ist Jahrgang 1923. Allerdings wird er wohl noch mindestens 4 Jahre auf ein Mandat (und die Alterspräsidentschaft) warten müssen, denn er kandidiert auf der Landesliste Berlin auf dem aussichtslosen 10. Platz einer mehr als überflüssigen Partei.


6. Bei welcher Partei sind die Erfolgschancen für junge / alte Kandidaten besonders groß?
Entscheidend ist freilich die Frage, auf welchen Listenplätzen jüngere bzw. ältere Kandidaten platziert werden. Bei der CDU ist eine eindeutige Tendenz zu beobachten. Über 60-jährige landen deutlich eher auf vorderen Listenplätzen, während sich jüngere Kandidaten (> 45) auf den weniger aussichtsreichen Plätzen finden.

Altersstruktur der Altersstruktur der Kandidaten nach Listenplätzen bei der CDU (Bundestagswahl 2013)

Altersstruktur der Altersstruktur der Kandidaten
nach Listenplätzen bei der CDU (Bundestagswahl 2013)

Trotz des höheren Durchschnittsalters der Kandidaten der SPD haben hier jedoch jüngere Kandidaten größere Chancen auf vordere Listenplätze als bei der CDU.

Altersstruktur der Altersstruktur der Kandidaten nach Listenplätzen bei der SPD (Bundestagswahl 2013)

Altersstruktur der Altersstruktur der Kandidaten
nach Listenplätzen bei der SPD (Bundestagswahl 2013)



7. Wie lauten die häufigsten Vornamen der Kandidatinnen und Kandidaten?
Weibliche Kandidaten heißen häufig Sabine, Barbara, Gabriele oder Claudia.

Die häufigsten weiblichen Vornamen der Kandidatinnen zur Bundestagswahl 2013

Die häufigsten weiblichen Vornamen der Kandidatinnen
zur Bundestagswahl 2013

Männliche Kandidaten heißen Michael, Thomas, Andreas, Peter oder Christian.

Die häufigsten männlichen Vornamen der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013

Die häufigsten männlichen Vornamen der Kandidaten
zur Bundestagswahl 2013

Dabei zeigen sich allerdings einige Tendenzen: Männer mit den Namen Alexander, Christian, Peter oder Stefan finden sich signifikant häufig bei der CSU, Kandidaten mit den Namen Andreas, Jürgen oder Sebastian finden sich eher bei den Piraten, Daniel, Jörg kandidieren eher für die FDP, Dirk für die SPD und Jürgen für die Grünen. Peter und Thomas sind typische Namen für Kandidaten der CDU, Thomas könnte aber auch für die Linke kandidieren, ebenso wie Wolfgang.


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