Wozu braucht man und was macht man mit einer Anti-Terror-Datei?

Posted on 11th November 2012 in Extremismus, Kollokationen, Terrorismus

Liebe Freunde der Sicherheit,

für Malcolm W. Nance, ehemaliger Angehöriger verschiedener geheimdienstlich arbeitender Sektionen innerhalb der U.S. Navy, Geschäftsführer der Beraterfirma SRSI (Special Readiness Services International, Washington), die sich der Schulung von Personal für den Anti-Terror-Kampf und der nachrichtendienstlichen Lagebeurteilung verschrieben hat, und als Experte für Terrorismusbekämpfung häufiger Gast bei FOX News, ist das größte Problem im Anti-Terror-Kampf das Vorurteil. So höre er immer wieder, dass man Terroristen als Lumpenköpfe („ragheads“) oder Kamel-Jockeys bezeichne. Ein Mitglied des Repräsentantenhauses habe sogar im Hinblick auf Al Kaeda empfohlen, einfach alle Menschen mit einer Windel auf dem Kopf („diapers on their heads“) zu verhaften. In seinem aufschlussreichen „Terrorist Recognition Handbook“ (Handbuch zur Erkennung von Terroristen) gewährt er uns tiefe Einblicke in die Denk- und Arbeitsweise jener Anti-Terror-Experten, die unsere Sicherheit vorurteilsfrei allein durch den Gebrauch der Vernunft in Kombination mit vielen, vielen Daten gewährleisten, für deren Speicherung und Strukturierung Datenbanken ein notwendiges Übel sind.

Rule #1 Consider Everyone a Potential Terrorist

Die erste und wichtigste Regel der Anti-Terror-Doktrin lautet: Betrachte jeden als potenziellen Terroristen („Consider Everyone a Potential Terrorist“, p. 27). Königsweg bei der Identifizierung von Terroristen ist das auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse gestützte Profiling. Beim Profiling werden Daten ganz unterschiedlicher Herkunft miteinander verknüpft. Einerseits Grunddaten wie Nationalität, Rasse und Kultur („race and culture“), Alter, biologisches Geschlecht, Muttersprache. Andererseits aber auch solche Daten, die nur durch Beobachtung oder weiter gehende nachrichtendienstliche Mittel erworben werden können; hierzu zählen Kleidungsverhalten, körperlicher Zustand, Waffenbesitz, Besitz verdächtiger Dokumente, klandestines Verhalten, Mitführung hoher Geldbeträge, Verbindungen zu terroristischen Gruppierungen und das Sprechen in Phrasen, die eine tiefe religiöse oder politische Motivation durchscheinen lassen. Doch dies sind nur Sekundärindikatoren.

Terrorist Attack Preincident Indicators

Im Mittelpunkt der Terrorabwehr stehen sogenannte TAPI (terrorist attack preincident indicators; Anzeichen für die Vorbereitung eines Terrorakts). TAPIs sind Handlungen, die potentielle Terroristen durchführen müssen, um überhaupt in der Lage zu sein, einen Terroranschlag zu verüben. Was mögliche TAPIs sind, lässt sich nur anhand der Strategie der Terroristen und ihrer möglichen Ziele bestimmen. Nachrichtendienstliche Informationen zur Ideologie, zum Potenzial und der bisherigen Strategie bekannter Terrorgruppen sind hierfür unabdingbar. Gute Ansatzpunkte zur Beobachtung von TAPIs finden sich im Bereich der Logistik der Terroristen (Safe House, Mobilität, Finanzierung) und der Kommunikation der Terrorgruppenmitglieder (beide sind „group-related indicators“), der Auskundschaftung der möglichen Terroriziele („target-related indicators“) und schließlich bei der konkreten Vorbereitung auf den Anschlag (incident-related indicators). Meldungen über TAPIs müssen natürlich auf ihre Relevanz und ihre Glaubwürdigkeit hin überprüft werden.

Daten zusammenführen und auswerten

Um Terrorakte im Vorfeld zu erkennen und im Anschluss zu verhindern, müssen die folgenden Daten zusammengeführt werden.

  1. Daten der potenziellen Gefährder
  2. Daten zur Schlagkraft und damit zum Schadenspotenzial bekannter terroristischer Gruppen
  3. Daten zur bisherigen Strategie bekannter terroristischer Gruppen und zum Vorgehen bei Anschlägen
  4. Meldungen über TAPIs

Zwar lässt uns Malcolm W. Nance über die genaue Vorgehensweise bei der Analyse dieser Daten im Dunkeln und spricht nur von „heavy intelligence analysis techniques used by U.S. intelligence and law enforcement intelligence divisions including matrix manipulation, visual investigative analysis charting, link analysis, time charting, and program evaluation review technique (PERT)“ (p. 238), unter denen man sich nur sehr wenig vorstellen kann. Eine — sehr simple — Methode nennt er jedoch: die Schlagwortanalyse („Keyword Analysis“). Werden beispielsweise potenzielle Gefährder in nachrichtendienstlichen Berichten mit TAPIs in Verbindung gebracht und lässt etwa die Herkunft der potenziellen Gefährder auf eine Verbindung zu einer bekannten Terrorgruppe schließen, zu deren Taktik die TAPIs passen, dann müssen in den Sicherheitsbehörden die Alarmglocken schrillen.
Auch beim Chatter, dem unbetimmten, aber vielstimmigen Geraune aus nachrichtendienstlichen Quellen, dass in naher Zukunft etwas passieren könne, hilft die Analyse von Schlagwort-Assoziationen. Im anschwellenden Bocksgesang des Terrorismus treten wiederholt ähnliche Schlagwörter auf und bilden Muster, die bei richtiger Gewichtung in ihrer Zusammenschau einen Hinweis auf den bevorstehenden Terrorakt bilden.

„Neue Qualität der Gefährdungsanalyse“

Aus Sicht von Jörg Ziercke, dem Präsidenten des Bundeskriminalamts, ist mit der sogenannten Antiterrordatei „eine neue Qualität der Gefährdungsanalyse“ erreicht. Der Wert der Daten der (nach Angaben Zierckes zurzeit) 16.000 gespeicherten Personen liegt wohl vor allem darin, die Vielzahl potenzieller TAPIs zu filtern und die Bedeutung einzelner TAPIs zu gewichten. Dies mag zwar einerseits ein Gewinn sein. Andererseits birgt es aber auch eine Gefahr. Wer in einem der oben skizzierten Datenbereiche (Gefährder, Schlagkraft, Taktik, TAPIs) Daten ausschließt, läuft Gefahr auf einem Auge blind zu werden. So blind, wie die Sicherheitsbehörden im Fall des NSU. Hier schätzte sie die Schlagkraft und Taktik (2. und 3.) rechtsextremer Kreise krass falsch ein, obwohl das „Terrortrio“ durchaus auf dem Gefährderschirm der Behörden war. Wenn aber eine zu schmale Datenbasis die Gefahr mit sich bringt, Gefahren nicht zu sehen, dann haben die Behörden ein Interesse daran, dass die Antiterrordatei wächst und insbesondere auch Datensätze von Personen erfasst, die nicht auf den ersten Blick ins Gefährderraster passen. Dass dies der Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts erkennt und in seine Entscheidung mit einbezieht, ist zu hoffen.

DIE KLAU MICH SHOW – dOCUMENTA(13)

Posted on 25th Juni 2012 in Off Topic, Politik, Terrorismus

Liebe Freunde der Sicherheit,

ich war in den letzten Wochen leider sehr beschäftigt. Unter anderem damit, nach Kassel zur dOCUMENTA(13) zu reisen. Dort durfte ich als Gast an der KLAU MICH SHOW (Radicalism in society meets experiment on TV) teilnehmen, einem Projekt von Dora Garcia. Weitere Gäste waren Rainer Langhans (Kommune I usw.) und Jessica Miriam Zinn (Piratenpartei Berlin), Jan Mech spielte souverän den Talk- und Showmaster.

Es ging um Eigentum und Diebstahl, Hedonismus und Spaßguerilla, Körper und Vergeistigung, Politik und Utopie, 1968 und Piraten. (Über Letztere hatte ich ja schon einmal geblogt.) Das Video ist online:



DIE KLAU MICH SHOW, dOCUMENTA(13)

DIE KLAU MICH SHOW, dOCUMENTA(13), 22. Juni 2012, Screenshot



Der Titel der Show zitiert den Titel des Buches „Klau mich“ der Kommune I. Die Kommune I war eine „Lebensgemeinschaft junger Maoisten“, die 1967 bis 1969 durch medienwirksame Protestinszenierungen und einen ostentativ hedonistischen Lebensstil einen großen Einfluss auf die 68er-Bewegung hatte und viel Aufmerksamkeit provozierte. Eine ihrer Provokationen war ein Flugblatt, in dem sie anlässlich eines Kaufhausbrandes in Brüssel mit etlichen Toten fragte „Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?“ Die Autorinnen und Autoren behaupteten, Anti-Vietnamkriegsaktivisten hätten das Feuer gelegt, um den „saturierten Bürgern“ zu vermitteln, wie sich das Leben in Vietnam anfühlt, um den Krieg vom anderen Ende der Welt in die westlichen Metropolen zu tragen. „Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk beim der Frühstückszeitung zu vergiessen“, heißt es im Flugblatt. „Ab heute geht sie in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidkabine an.“ Die Staatsanwaltschaft sah darin eine Anstiftung zur Brandstiftung und klagte Rainer Langhans und Fritz Teufel an. Es kam zu einem Prozess, den die beiden Kommunarden als Bühne für eine bis dahin nicht dagewesene Anti-Justiz-Show benutzten. Sie spielten virtuos auf der Klaviatur des Antiritualismus und brachten Richter, Staatsanwaltschaft und Zeugen mehrfach zur Verzweiflung. Den Prozessverlauf, die Einvernahmen und die Medienberichte rekonstruierten sie im Buch „Klau mich“.

In der Klau Mich Show am 22. Juni war Rainer Langhans zu Gast. Weil ich mich mit dem Prozess in meinem Buch „1968. Eine Kommunikationsgeschichte“ ausführlich beschäftigt habe und auch sonst viel zu viel über performative Praktiken als Medium des Protests geschrieben habe, wurde ich als Gast eingeladen. Weil Rainer Langhans keine Nostalgie-Show wollte, kam auch Jessica Miriam Zinn von der Piratenpartei Berlin als Gast.

Die Klau Mich Show hat ihre eigenen Rituale entwickelt: die Mitglieder des Theater Chaosium, die am Anfang über die Bühne auf die Plätze für das professionelle Publikum (Chor und Jury) gehen, die reißerische Ansage der Gäste, der kleine Dialog mit der Show-Stewardess Tabu oder die vom Theater Chaosium moderierten Übergänge, das bunte Finale. Beim Sehen von nur einer Folge erzeugen sie Irritationen, wie bei den Studierenden meines Semis, in Serie machen sie den Charme der Show aus. Anders als die Kommune I früher fügen sich in der Klau Mich Show die Gäste in die Rituale.

Ritualkritik und Antiritualismus waren nämlich wichtige Charakteristika der 68er-Bewegung. Durch Rituale nämlich aktualisieren Gemeinschaften ihre Ordnung und versichern sich ihrer Werte. Durch die performative Kraft der Rituale werden Identitäten konstruiert, durch sie erhalten sie den Anschein von Faktizität. Wer also die Gesellschaft und ihre Werte verändern will, der muss ihre Rituale kritisieren, verändern oder durch neue Rituale ersetzen.

Die 1960er Jahre waren die Zeit der Entdeckung des Performativen: in der Kunst wurde mit performativen Praktiken experimentiert, um dem Funktionieren von Zeichenprozessen nachzuspüren. Soziale Bewegungen nutzten Ritualstörungen und Antirituale, um unsichtbare gesellschaftliche Schranken bewusst zu machen und ihre Beseitigung im Hier und Jetzt vorwegzunehmen. So stilisierte Rudi Dutschke in der deutschen 68er-Bewegung die performative Regelverletzung zum Medium der Selbstaufklärung der Aktivisten und zum Schlüssel ihrer individuellen Veränderung. Aber auch die Wissenschaft theoretisierte nicht nur, sondern nutzte performative Praktien wie Krisenexperimente (Garfinkel), um grundlegende Organisationsprinzipien der menschlichen Interaktion aufzudecken. Auch das Nachspiele von Ritualen wurde in der performativen Ethnologie als Erkenntnisquelle benutzt.

Das erste Thema der Show war dann auch die Theatralität selbst und das vergemeinschaftende Potenzial von Ritualen. Showmaster-Darsteller und Moderator Jan Mech holte das Publikum auf die Bühne und ließ es wie Woof im Musical Hair „We are all one“ rufen. Diese Durchbrechung der vierten Wand der Guckkastenbühne war als ein Re-enactment der Vorgänge am Ende der Hair-Aufführungen in den späten 60ern und frühen 70er Jahren gedacht, wo die Zuschauer auf die Bühne kamen, um mitzutanzen.

Der Gegensatz von Zuschauer und Mitwirkendem, von Bühnenraum und Zuschauerraum, von realer Welt und Spiel wurde aber gleich wieder hergestellt, als die eingeladenen Gäste zu einer Ballade (sinnreich: Seeräuber, Brecht) auf die Bühne kamen. Rainer Langhans wurde zum Star gemacht, der erstmal ein Autogramm geben muss. Deshalb durfte er auch in der Mitte sitzen.

Dann ging es um die Nazivergangenheit und den Generationenkonflikt und um die Frage des Privateigentums, bei der sich Jessica Miriam Zinn im Namen der Piratenpartei wehrte, in einer Tradition mit den 68er gesehen zu werden. Implizit wurde dabei die Frage verhandelt, ob durch die 68er ein Wertewandel hin zu einer Auflösung des Eigentumsbegriffs eingesetzt hat, der die Piratenpartei erst ermöglichte; denn die Piratenpartei bezieht sich positiv auf die urheberrechts-/copyright-kritische Bewegung in Schweden, aus der heraus der BitTorrent-Tracker „The Pirate Bay“ und die schwedische „Piratpartiet“ entstanden sind.

Ob sich die Piratenpartei Deutschlands die 68er, speziell die Kommunebewegung, als Tradition aneignen will, ist letztlich eine politische Frage, denn die Aneignung von Traditionen sind Identitätsakte. Der Anspruch auf Transparenz und die Utopie einer tiefer gehenden Demokratie verbindet beide Bewegungen, wie ich an andere Stelle ausgeführt habe. Gleichzeitig würde sich die Piratenpartei aber wohl dem Verdacht ausgesetzt sehen, offen zu sein für Ideen wie die Abschaffung des Eigentums, die Aufgabe der Privatsphäre und einem Anspruch auf radikale Veränderung jedes Einzelnen und der gesellschaftlichen Verhältnisse. Dabei ist das Narrativ für die Verbindung von digitalem Aktivismus und 68er-Bewegung längst vorhanden: Der Chaos Computer Club wurde am 12. September 1981 in den Redaktionsräumen der taz gegründet — am Tisch der Kommune I.

Aber zurück zur Klau Mich Show: Theatral wurde es wieder, als der Körper in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt wird. Rainer Langhans vertritt seine These von der Vergeistigung der Kommune. Leider kam ich nicht dazu zu sagen, dass ich die Kommune für sehr körperlich halte, nicht nur wegen ihres ostentativen Hedonismus sondern auch wegen der bewussten Inszenierung ihrer Körper als nicht-, ja antifaschistisch. Haben sich die Grenzen des Anstands seit den 60er Jahren nicht nur im Hinblick auf das Eigentum, sondern auch im Hinblick auf den Körper verschoben? Dieser Frage wollte der Showmaster näher kommen, inderm er eine Zuschauerin bat, sich so weit zu entblößen, wie es ihrer Meinung nach Scham und Anstand zuließen. Als Jessica Miriam Zinn den Moderator aufforderte, es der Zuschauerin gleich zu tun, entkleidete auch er sich. Der performative Effekt seiner partiellen Nacktheit war jedoch ein diskursiver Kontrollverlust, der erst nach Wiederanlegen der Hose überwunden wurde.

So lieferte die Show selbst einen Beleg für die (de)konstruktive Kraft von (Anti-)Ritualen, mithin dafür, dass das Durchbrechen von Ritualen das Potenzial hat, Ordnung ins Wanken zu bringen. Die Klau Mich Show changiert wunderbar zwischen Ironie und Ernst, zwischen Anstand und Zumutung, zwischen Gespräch und Performance, zwischen Anspruch und Unterhaltung. Sie ist aber nichts von alledem. Sie ist ein Muss für alle dOCUMENTA-Besucher, die realen wie die virtuellen.

Noch ein paar persönliche Anmerkungen: Den Studierenden der Dokkyo sei noch einmal gesagt, dass ich nicht der Moderator bin und dass das Musical „Hair“ nicht wegen mir ein Leitmotiv der Show war. Ich habe die Performance des Theater Chaosium am Anfang nicht verstanden, fand den Kalauer aber sehr lustig. Einmal habe ich in die Kamera gewinkt, um die Studierenden zu grüßen. Ich habe ziemlich viel auf dem Drehstuhl herumgewackelt. Und ja, ich weiß, das Taschentuch…


Vorher war ich an der TU Dresden, wo ich ab 1.10. eine Professur für Angewandte Linguistik antreten werden, zu einem Vortrag zum Thema „Autorenidentifizierung und Autorschaftsverschleierung. Maschinelle Methoden in der forensischen Linguistik und Möglichkeiten ihrer Überlistung“. Aus diesem Anlasse gibt es demnächst wieder mehr Posts zu technischen Fragen.


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Von Black Panther zu Pink Panther? — Zur Ikonographie des Terrors

Posted on 17th November 2011 in Extremismus, Terrorismus

Liebe Freunde der Sicherheit,

Die Presse rätselt, warum sich die Terroristen, die sich als Nationalsozialistischer Untergrund bezeichnen, ausgerechnet Paulchen Panther zu ihrem Maskottchen wählten. Bernd Wagner von Exit Deutschland gibt sich im Stern-Interview ratlos, der Zürcher Tagesanzeiger rätselt und klärt darüber auf, dass der rosarote Panther nicht im kriminellen Milieu wurzelt.
Und in der BILD-Zeitung darf Professor Dr. Hajo Funke, Politikwissenschaftler vom Otto-Suhr-Institut in Berlin, erklären: „Das muss kein Zeichen für die Öffentlichkeit sein: In der Nazi-Szene gibt es auch eine innere Propaganda. Möglicherweise hatten Paulchen-Witze in dieser Gruppe einen Kultstatus für Insider.“

Eine Blick in die Geschichte der Terror-Ikonographie legt jedoch eine andere Interpretation nahe: Der Panther wurde beispielsweise von der Black Panther Party, einer sich als revolutionär verstehenden militanten Gruppe innerhalb der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, benutzt.



Logo der Black Panther Party

Logo der Black Panther Party



Er zierte auch den ersten programmatischen Text der RAF „Die Rote Armee aufbauen“ in der Zeitschrift agit 883.



Titelei des Textes "Die Rote Armee aufbauen" aus agit883, Nr. 62 vom 05.06.1970

Titelei des Textes "Die Rote Armee aufbauen" aus agit883, Nr. 62 vom 05.06.1970



Und sogar Feminstinnen bedienten sich des Panthers zur Artikulation ihrer Bereitschaft zur Militanz.



"Die Militanten Pantertanten:" zweite Hälfte 1969



Der Panther steht also für revolutionäre Gewalt. Dass sich die Terroristen der NSU nicht wie die RAF mit der Black Panther-Bewegung identifizierten ist evident. Der schwarze Panther, in dessen Farbe und geschmeidiger Kraft sich die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung wiedererkennen sollte, passt nicht zu ihren rassistischen Anliegen.



Aus agit883 Nr. 64 vom 25.6.1970



Was liegt für eine Neonazigruppe, deren Ideologie auf rassischem Denken beruht, näher, als statt eines schwarzen Panthers einen rosaroten Panther zum Logo zu wählen, um einen ikonographischen Kontrapunkt zu setzen? Und hätte der Chef der NPD in Zwickau, der Paulchen Panther als Alias bei Facebook benutzte, wirklich auch Fix und Foxi wählen können, wie er SPIEGEL Online sagte?



Screenshot aus dem Bekennervideo des NSU



Breivik’s ideological map

Posted on 1st September 2011 in authorship identification, ideology mapping, Visualisierung

Liebe Freunde der Sicherheit,

so wie viele seiner Vorgänger hat der Terrorist Anders Behring Breivik viel Text hinterlassen. Terrorismus ist Kommunikation. Terroristen handeln im Wissen, dass ihre Tat das System nicht umstürzen wird. Terroristische Akte wollen vielmehr Aufmerksamkeit auf eine Botschaft lenken und ihr zugleich Nachdruck verleihen. Selten spricht der Terrorakt jedoch für sich selbst. Der Terrorakt eröffnet vielmehr einen Interpretationsraum, durch den ganz unterschiedliche Wege führen können. Terroristen schreiben Texte, um diesen Raum zu verengen. Mit diesen Texten wollen sie die Interpretationsmacht über ihre Tat behaupten. Zugleich wollen sie uns zeigen, dass sie keine Terroristen sind, die nur Schrecken (lat. terror = „Schrecken“) verbreiten wollen. Sie wollen uns zeigen, dass ihr Ziel nicht die Einschüchterung durch sinnlose Gewalt ist, sondern dass sie eine politische Agenda haben, die auf der Basis rationaler Analysen und stringenter Argumente ihr Vorgehen rechtfertigt. Damit Terrorismus erfolgreich ist, braucht er Medien, die die Aufmerksamkeit auf seine Taten lenken und seine Rechtfertigungen reproduzieren. Deshalb haben alle Terroristen eine Medienstrategie. Deshalb schrieb Breivik sein Manifest „2083: A European Declaration of Independence“ und wählte das Internet für dessen Verbreitung. Das ist eine Möglichkeit, die Dinge zu sehen.


Ideologische Landkarte von Anders Behring Breivik

Breivik's ideological map



Eine andere Möglichkeit ist mir bei der Lektüre verschiedener Blogeinträge, vor allem zweier sehr anregender Texte von Michael Seemann, in den Sinn gekommen. In „Breivik, Queryology und der Weltkontrollverlust“ erklärt er queryologisch, wie sich der Einzeltäter sein geschlossenes Weltbild zurechtfiltern konnte. Mindestens ebenso interessant in diesem Kontext ist jedoch der Blogeintrag „Warum wir Dinge ins Internet schreiben“. Darin deutet mspr0 das Hinterlassen von Datenspuren im Netz als Möglichkeit sich unsterblich zu machen. Denn durch die Analyse dieser Datenspuren werde es in naher oder ferner Zukunft möglich, eine Persönlichkeit zu simulieren. Ins Internet schreiben, sich im Internet bewegen sei daher eine Art „Mindupload“.

Anders Behring Breivik muss damit gerechnet haben, während seiner Tat zu sterben, zumindest wird er es einkalkuliert haben. Ganz sicher aber ist er davon ausgegangen, für sehr lange Zeit sein Dasein im Gefängnis zu fristen. Wer sein Leben für eine Idee einsetzt, der will seine Identität mit der Idee verschmelzen und ihr Unsterblichkeit verleihen. Das Manifest „2083: A European Declaration of Independence“ ist Breiviks Mindupload. Simulieren können (und wollen) wir es nicht, aber visualisieren können wir es.


Die Grafik als zoombares PDF: breivik_ideological_map

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